„Ich bin.
Aber ich habe mich nicht.
Darum werden wir erst.“
(Ernst Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie)
Es
ist eine laue Nacht, irgendwann im tiefsten Sommer, kurz nach dem
Abitur. Wir verbringen die Tage am See, werfen uns gegenseitig,
bekleidet oder unbekleidet, hinein, schwimmen, führen Wasserschlachten
und kühlen die Getränke im kalten Nass. Abends sitzen wir am Lagerfeuer,
zünden Kerzen oder Fackeln an und lassen uns durch die Nacht treiben.
Irgendjemand hat immer eine Gitarre dabei, obgleich sie manchmal eher
als Frauenmagnet und Dekoration zu dienen scheint. Meistens trinken wir
Wein und manchmal auch Whiskey oder Bier. Oder alles durcheinander. All
das macht uns so schön träge im Kopf, ganz ruhig und manchmal auch
lustig. Wir sind glücklich, weil wir uns so frei fühlen in diesen
Momenten. Das ist es, was zählt. Ganz in der Gegenwart befinden wir uns,
weil alles, was noch kommt, viel zu unbestimmt und beunruhigend ist, um sich dem jetzt
schon zu stellen. Noch ist es zu früh, um darüber nachzudenken, dass sich viel zu schnell alles verändern wird.
Irgendwann,
als alle anderen schon gegangen sind, sitze ich noch mit Amö, einem
Freund, mit dem ich ab und an das Bett teile, vor den verglimmenden
Kohlen des Feuers. Die Welt schwankt ein bisschen vor unseren Augen und
wir philosophieren ins leere hinein. Bis er anfängt, mich zu kitzeln und
ich aufspringe und ihm kichernd davonlaufe. Ich komme nicht weit, denn
er ist viel schneller und stärker als ich, aber das macht mir nichts.
Ich wehre mich gegen seine Kitzel-Attacken so gut ich kann, mit Händen
und Füßen, Fingern und allen zehn Zehen. Zur Not verteile ich auch mal
Kopfnüsse oder Eisbeine. Ganz unschuldig gucke ich dann, während er so
tut, als hätte ich ihm ernsthaft wehgetan und mir neckend erzählt, er
könne auch anders. Was die Rebellin in mir, wenigstens phasenweise, erst
recht reizt.
Auf
dem Weg nach Hause entdecken wir, auf einem Gartengrundstück ganz in
der Nähe, ein riesiges Trampolin. Ich bedeute Amö, leise zu sein und
lege einen Zeigefinger auf meine Lippen. Beide versuchen wir, das Kichern, das sich durch unsere Körper spült, zu unterdrücken. Denn ohne, dass ich ihm etwas sagen muss, weiß er sofort, was ich will. Er
faltet seine Hände zur Räuberleiter, grinst mich schelmisch und
zugleich provokant an, und flüstert: „Los jetzt!“. Wie ein
Schwerverbrecher schaue ich nach links und rechts, kann aber, in der nur
spärlich beleuchteten Umgebung, wenig erkennen. Also werfe ich meine
Flip-Flops zur Seite, stelle meinen Fuß in seine Hände und ziehe mich
über den Zaun. Auf der anderen Seite falle ich hinunter wie ein nasser
Sack und bleibe quietschend – weil: versuchend, das Lachen zu
unterdrücken – liegen. Im Gegensatz zu mir zieht sich Amö mit einer
Leichtigkeit über den Zaun, die ein Bild für die Götter ist. Er lacht
nur leise über mich, als er mich im Gras liegen sieht und seine Augen
leuchten. Himmel, ist dieser Mann schön…
„Komm
schon, Apfelbäumchen!“, flüstert er mir zu und läuft zielstrebig zum
Trampolin. Vorsichtig stellt er unsere Weg-Weinflasche auf dem weichen
Gras ab, klettert auf das Trampolin hinauf und wippt zunächst nur ganz
zaghaft. Aber das Trampolin quietscht nicht und auch um uns herum bleibt
alles still. In dem Haus, das sich nur wenige Meter von uns entfernt
befindet, rührt sich nichts. Alle Fenster sind dunkel. Als ich zögere –
für einen Moment habe ich den Eindruck, die Gardinen in einem der
Fenster hätte sich bewegt–, greift Amö nach meiner Hand und zieht mich
einfach zu sich hinauf. Ganz nah steht er vor mir und wir lachen
einander an. Dann greift er blitzschnell nach meinen Händen, hält sie
fest und gibt mir einen flüchtigen Kuss. Seine Augen blitzen, als ich
mich ihm entgegenstrecke und Zähne zeige: Ich beiße ein paar Mal
klackernd in die Luft. Doch er zieht nur spöttisch eine Augenbraue nach
oben und grinst. Er ist nicht zu provozieren, zieht mich stattdessen
kurz, aber dafür sehr eng an sich, nur um mich gleich darauf abrupt wieder loszulassen. Ich
verliere, elegant wie ein Sack Zement, mein Gleichgewicht und lande lachend auf
meinem Hintern.
Eine
Zeit lang springen wir um die Wette, versuchen uns gegenseitig aus dem
Takt zu bringen oder umzuwerfen und freuen uns, wenn es gelingt. Ein
paar Mal, wenn wir meinen, Geräusche zu hören und gleich erwischt zu
werden, flüchten wir uns eilig in die Schatten des Grundstückes, aber
wir kehren immer wieder zurück. Die Nacht ist zu schön, die gemeinsame
Zeit, die uns noch bleibt zu kurz und der pritselige Reiz des Verbotenen
einfach zu groß.
Irgendwann
kommen wir atemlos auf dem Trampolin zu liegen. Er schiebt seinen Arm
um mich und ich schmiege mich an ihn.
Das ist schön und fühlt sich sicher, vor allem aber wunderbar vertraut an. Während wir
unsere Gedanken treiben lassen, schauen wir in den
klaren Nachthimmel. Die Sterne über uns leuchten, als hätte jemand mit einer Stecknadel Abermillionen kleine Löcher in das Himmelszelt gepiekst. Langsam leeren wir die Weinflasche und
fragen uns, wer wir in zehn Jahren wohl sein werden.
Wir verlieren uns.
Irgendwo zwischen Glück und Melancholie.
Nur für den Moment.
(https://stocksnap.io/photo/T7PWBSK6YS, 20.01.2018)
So sieht Glück aus - schreibe ich aus Sicht der nächtlichen Trampolinbenutzer und nicht aus Sicht der Trampolinbesitzer.^^
AntwortenLöschenDas finde ich auch. :-)
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