(Ein alter Post. Vom 17.10.2013. Inklusive aller damals gemachten Rechtschreibfehler.
Ich bin muschelig und still und ein bisschen wortlos. Ich will auf den Arm...)
„Haben
Sie nie bemerkt, daß die Leute draußen am offenen Meer einen besonderen
Menschenschlag bilden? Es ist beinah, als lebten sie des Meeres
eigenartiges Leben. Nicht bloß in ihrem Fühlen, auch in ihrem Denken ist
Wellengang und Ebbe und Flut.“
...
(Henrik Ibsen)
Ich
bin müde und vollkommen überdreht, als ich kurzentschlossen in den Flur
meiner Wohnung gehe, mir den roten Wollschal um den Hals wickle und die
dazu passende Bommelmütze auf den Kopf setze. Vor einer Stunde –
gelangweilt vor dem Rechner sitzend, surfend, mich in Texten verlierend –
stellte ich fest, dass ich hier raus muss. Ich bekomme in meiner
eigenen Wohnung Platzangst. Bin völlig frustriert und habe keine Lust
mehr tagein, tagaus die gleichen Menschen und die gleichen Wände zu
sehen, dieselben Gefühle zu fühlen. Das hier ist ein Ausbruch, denke
ich, und muss ein wenig kichern, als ich laut die Melodie von „Mission
Impossible“ summe, meine Hände zu einer Waffe forme und mich mit
ausgestreckten Armen einmal – die Umwelt im Visier – um die eigene Achse
drehe. Nun gut – ich bin wohl eher kein Gangster, denn das hier wäre
dann wohl der unspektakulärste Ausbruch, den die Welt je gesehen hat.
Ich bin lediglich eine Kleinkriminelle. Eine Durchschnittsbürgerin, die
sich ab und zu mal ein Ticket einhandelt, weil sie zu schnell fährt oder
bei Rot über die Ampel läuft. Super, ultimativ langweilig, denke ich
und die Frustration schlägt durch. Genervt ziehe ich die Tür, hinter
mir, ins Schloss.
Ich
halte einen Becher Coffee-to-go in der Hand und komme einige Sekunden
lang nicht umhin, mich zu fragen, ob das hier nicht eine vollkommen
bescheuerte Idee ist. Ich lasse den vergangenen Abend, den ich in meiner
Wohnung verbracht habe, Revue passieren. Gab es einen Moment, indem
sich jemand an meiner Tasse Tee hätte vergehen können? Vielleicht ist,
während ich im Bad war, jemand in meine Wohnung eingebrochen, um mir
Drogen in den Tee zu mischen? Anders kann ich mir meine geistige
Umnachtung nicht erklären: Was, zum Teufel, mache ich hier? Ich könnte
genauso gut im Bett liegen. Stattdessen stehe ich – zu einer Uhrzeit, zu
der die meisten Menschen schlafen – auf einem fast leeren Bahnsteig und
sehe meinem Kaffee dabei zu, wie er kleine Dunstkringel in die kalte
Nachtluft malt.
Das
gleichmäßige Rattern des Regionalexpress´ macht mich schläfrig. Draußen
wird es langsam hell und bald lassen sich mehr als nur Schatten
erahnen, die am Fenster vorbeitoben. Ich fahre der Sonne entgegen, die
die Felder und Wiesen in rote Farbe taucht. Das Fernweh überfällt mich
derartig intensiv, dass es fast wehtut. Ich ziehe die Knie ganz nah an
den Oberkörper und lehne den Kopf gegen die kalte Scheibe, während ich
die Welt beim vorbeiziehen beobachte. Seltsam weit entfernt kommt sie
mir vor. Mit der Zeit verlangsamt sich mein Atem und ich merke, wie mich
allmählich die Müdigkeit überrollt.
Der
Schaffner weckt mich. Schlaftrunken wie ich bin, bin ich kaum in der
Lage, ein vernünftiges Wort herauszubringen, zumal ich einige Sekunden
brauche, um mich orientieren – ein Mann mit Uniform? In meinem Zimmer?
Fahrschein?
Ziemlich verwirrt suche ich in meiner Tasche nach dem
Ticket und als ich es ihm schließlich zeigen kann, lacht er ein bisschen
und wünscht mir einen guten Morgen. Mittlerweile ist es helllichter Tag
und auch der Zug hat sich gefüllt. Permanentes Hintergrundgemurmel
schiebt sich durch den Waggon. Für mich ist selbst das fast schon wieder
zu laut, zu hektisch. In letzter Zeit fühle ich mich sogar in solch
banalen Situationen schnell überfordert. Ich baue eine Mauer zwischen
mir und der Umwelt, schotte mich ab. Vergrabe mich ganz tief in mir
selbst.
Schon
als ich den ersten Fuß aus dem Zug heraussetze, fühle ich mich
erleichtert. Die Kälte fährt mir sofort in die Glieder und ich fülle
meine Lunge mit Luft. Eilig verlassen ein paar Menschen den Zug, während
ich stehen bleibe und sie vorüber hasten lasse. Ich nehme mir Zeit, bin
ganz in mir, mir selbst genug – reduziert auf alle meine Sinne. Lege
den Kopf in den Nacken und beobachte, wie die die Möwen über dem kleinen
Bahnhof kreisen, lausche ihrem Geschrei. Ich schmecke die salzige Luft
auf meinen Lippen und genieße den Wind, der mir die Wangen streichelt
und sie augenblicklich mit einem gesunden rot überzieht. Er fährt mir in
die Haare und verursacht mir eine feine Gänsehaut, so dass sich die
kleinen Härchen auf den Armen aufstellen. Ich versuche diesen Moment der
Vorfreude zu konservieren, doch so recht mag es mir nicht gelingen.
Mein Ziel steht mir schon zu nahe vor Augen und lässt mich unruhig
werden: Vom Bahnhof bis zum Meer muss ich nur einen Kilometer laufen.
...
Einige
Minuten später sehe ich die Düne, die mich vom Meer trennt. Bereits
jetzt kann ich ein leises Rauschen vernehmen. Ich werfe meine Tasche in
den Sand, entledige mich meiner Socken und krempele die Jeans nach oben.
Jetzt kann ich es kaum mehr erwarten. Als ich losrenne, in Richtung der
Düne, fällt die angestaute Müdigkeit der letzten Stunden von mir ab.
Der Sand unter meinen Füßen fühlt sich ganz weich an.
Dem
ersten Moment, in dem ich das Meer erblicke, wohnt ein ganz besonderer
Zauber inne – ein immerwährendes, neues Staunen beim Anblick des Meeres.
Vergessen sind das Chaos in meinem Kopf, der spontane Aufbruch von
Zuhause und die lange Fahrt hierher. Vor dem Anblick der rauen See
schrumpft der Rest der Welt auf die Größe einer Erbse. Ich weiß nicht,
was genau passiert, kann keine Worte finden, die es ausreichend
beschreiben – aber der Anblick der Wellen, der Wind auf meiner Haut und
vor allem das Geräusch der Brandung lösen eine tiefe, allesumfassende
Ruhe und innere Zufriedenheit in mir aus.
So
lasse ich mich in den Sand fallen und sehe auf das Meer hinaus. Genieße
das Rauschen der See und die vereinzelten Sonnenstrahlen, die mich
wärmen. Die Füße im Sand vergraben, die Arme vor der Brust verschränkt,
ist mein Kopf einfach nur leer. Darüber schrumpfen Stunden zu Sekunden.
...
Irgendwann
klingelt mein Wecker und ich finde mich, in meinem Bett sitzend,
Zuhause wieder. Zurück bleiben das Fernweh und der sehnliche Wunsch,
einfach auszubrechen. Nur ist dieses Mal das Kribbeln in den
Fingerspitzen noch ein bisschen intensiver ist als sonst:
Mach doch!,
neckt es mich, Was genau hält dich davon ab?
warum leben so viele menschen in ihrer vergangenheit? hast du eine antwort für mich.
AntwortenLöschenWeil es leichter ist.
Löschenist es das wirklich?
Löschenich frage das deshalb, weil der franzose auch nur in der vergangenheit lebt. Ich habe echte probleme damit. kann das nicht nachvollziehen. leider.
LöschenWeil das Vergangene als zeit empfunden und erinnert wird, als man noch glücklich war, unbeschwert.
LöschenDie Sehnsucht nach dieser Unbeschwertheit vergeht nie für den, der sie erlebt hat.
Unsere Sehnsüchte sind unsere Möglichkeiten
LöschenWenn meine Sehnsüchte irgendetwas NICHT sind, dann meine Möglichkeiten.
Löschen1:0 für Rain, DIESE Sehnsüchte kenn ich auch...
LöschenEin runder Abschluss für diesen Post. :-)
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