Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom Meer

(Ein alter Post. Vom 17.10.2013. Inklusive aller damals gemachten Rechtschreibfehler.
Ich bin muschelig und still und ein bisschen wortlos. Ich will auf den Arm...)

„Haben Sie nie bemerkt, daß die Leute draußen am offenen Meer einen besonderen Menschenschlag bilden? Es ist beinah, als lebten sie des Meeres eigenartiges Leben. Nicht bloß in ihrem Fühlen, auch in ihrem Denken ist Wellengang und Ebbe und Flut.“
...
(Henrik Ibsen)

Ich bin müde und vollkommen überdreht, als ich kurzentschlossen in den Flur meiner Wohnung gehe, mir den roten Wollschal um den Hals wickle und die dazu passende Bommelmütze auf den Kopf setze. Vor einer Stunde – gelangweilt vor dem Rechner sitzend, surfend, mich in Texten verlierend – stellte ich fest, dass ich hier raus muss. Ich bekomme in meiner eigenen Wohnung Platzangst. Bin völlig frustriert und habe keine Lust mehr tagein, tagaus die gleichen Menschen und die gleichen Wände zu sehen, dieselben Gefühle zu fühlen. Das hier ist ein Ausbruch, denke ich, und muss ein wenig kichern, als ich laut die Melodie von „Mission Impossible“ summe, meine Hände zu einer Waffe forme und mich mit ausgestreckten Armen einmal – die Umwelt im Visier – um die eigene Achse drehe. Nun gut – ich bin wohl eher kein Gangster, denn das hier wäre dann wohl der unspektakulärste Ausbruch, den die Welt je gesehen hat. Ich bin lediglich eine Kleinkriminelle. Eine Durchschnittsbürgerin, die sich ab und zu mal ein Ticket einhandelt, weil sie zu schnell fährt oder bei Rot über die Ampel läuft. Super, ultimativ langweilig, denke ich und die Frustration schlägt durch. Genervt ziehe ich die Tür, hinter mir, ins Schloss.

Ich halte einen Becher Coffee-to-go in der Hand und komme einige Sekunden lang nicht umhin, mich zu fragen, ob das hier nicht eine vollkommen bescheuerte Idee ist. Ich lasse den vergangenen Abend, den ich in meiner Wohnung verbracht habe, Revue passieren. Gab es einen Moment, indem sich jemand an meiner Tasse Tee hätte vergehen können? Vielleicht ist, während ich im Bad war, jemand in meine Wohnung eingebrochen, um mir Drogen in den Tee zu mischen? Anders kann ich mir meine geistige Umnachtung nicht erklären: Was, zum Teufel, mache ich hier? Ich könnte genauso gut im Bett liegen. Stattdessen stehe ich – zu einer Uhrzeit, zu der die meisten Menschen schlafen – auf einem fast leeren Bahnsteig und sehe meinem Kaffee dabei zu, wie er kleine Dunstkringel in die kalte Nachtluft malt.

Das gleichmäßige Rattern des Regionalexpress´ macht mich schläfrig. Draußen wird es langsam hell und bald lassen sich mehr als nur Schatten erahnen, die am Fenster vorbeitoben. Ich fahre der Sonne entgegen, die die Felder und Wiesen in rote Farbe taucht. Das Fernweh überfällt mich derartig intensiv, dass es fast wehtut. Ich ziehe die Knie ganz nah an den Oberkörper und lehne den Kopf gegen die kalte Scheibe, während ich die Welt beim vorbeiziehen beobachte. Seltsam weit entfernt kommt sie mir vor. Mit der Zeit verlangsamt sich mein Atem und ich merke, wie mich allmählich die Müdigkeit überrollt.
Der Schaffner weckt mich. Schlaftrunken wie ich bin, bin ich kaum in der Lage, ein vernünftiges Wort herauszubringen, zumal ich einige Sekunden brauche, um mich orientieren – ein Mann mit Uniform? In meinem Zimmer? Fahrschein?
Ziemlich verwirrt suche ich in meiner Tasche nach dem Ticket und als ich es ihm schließlich zeigen kann, lacht er ein bisschen und wünscht mir einen guten Morgen. Mittlerweile ist es helllichter Tag und auch der Zug hat sich gefüllt. Permanentes Hintergrundgemurmel schiebt sich durch den Waggon. Für mich ist selbst das fast schon wieder zu laut, zu hektisch. In letzter Zeit fühle ich mich sogar in solch banalen Situationen schnell überfordert. Ich baue eine Mauer zwischen mir und der Umwelt, schotte mich ab. Vergrabe mich ganz tief in mir selbst. 

Schon als ich den ersten Fuß aus dem Zug heraussetze, fühle ich mich erleichtert. Die Kälte fährt mir sofort in die Glieder und ich fülle meine Lunge mit Luft. Eilig verlassen ein paar Menschen den Zug, während ich stehen bleibe und sie vorüber hasten lasse. Ich nehme mir Zeit, bin ganz in mir, mir selbst genug – reduziert auf alle meine Sinne. Lege den Kopf in den Nacken und beobachte, wie die die Möwen über dem kleinen Bahnhof kreisen, lausche ihrem Geschrei. Ich schmecke die salzige Luft auf meinen Lippen und genieße den Wind, der mir die Wangen streichelt und sie augenblicklich mit einem gesunden rot überzieht. Er fährt mir in die Haare und verursacht mir eine feine Gänsehaut, so dass sich die kleinen Härchen auf den Armen aufstellen. Ich versuche diesen Moment der Vorfreude zu konservieren, doch so recht mag es mir nicht gelingen. Mein Ziel steht mir schon zu nahe vor Augen und lässt mich unruhig werden: Vom Bahnhof bis zum Meer muss ich nur einen Kilometer laufen.
...
Einige Minuten später sehe ich die Düne, die mich vom Meer trennt. Bereits jetzt kann ich ein leises Rauschen vernehmen. Ich werfe meine Tasche in den Sand, entledige mich meiner Socken und krempele die Jeans nach oben. Jetzt kann ich es kaum mehr erwarten. Als ich losrenne, in Richtung der Düne, fällt die angestaute Müdigkeit der letzten Stunden von mir ab. Der Sand unter meinen Füßen fühlt sich ganz weich an.

Dem ersten Moment, in dem ich das Meer erblicke, wohnt ein ganz besonderer Zauber inne – ein immerwährendes, neues Staunen beim Anblick des Meeres. Vergessen sind das Chaos in meinem Kopf, der spontane Aufbruch von Zuhause und die lange Fahrt hierher. Vor dem Anblick der rauen See schrumpft der Rest der Welt auf die Größe einer Erbse. Ich weiß nicht, was genau passiert, kann keine Worte finden, die es ausreichend beschreiben – aber der Anblick der Wellen, der Wind auf meiner Haut und vor allem das Geräusch der Brandung lösen eine tiefe, allesumfassende Ruhe und innere Zufriedenheit in mir aus.
So lasse ich mich in den Sand fallen und sehe auf das Meer hinaus. Genieße das Rauschen der See und die vereinzelten Sonnenstrahlen, die mich wärmen. Die Füße im Sand vergraben, die Arme vor der Brust verschränkt, ist mein Kopf einfach nur leer. Darüber schrumpfen Stunden zu Sekunden.
...
Irgendwann klingelt mein Wecker und ich finde mich, in meinem Bett sitzend, Zuhause wieder. Zurück bleiben das Fernweh und der sehnliche Wunsch, einfach auszubrechen. Nur ist dieses Mal das Kribbeln in den Fingerspitzen noch ein bisschen intensiver ist als sonst:
Mach doch!, neckt es mich, Was genau hält dich davon ab?

Kommentare

  1. warum leben so viele menschen in ihrer vergangenheit? hast du eine antwort für mich.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. ich frage das deshalb, weil der franzose auch nur in der vergangenheit lebt. Ich habe echte probleme damit. kann das nicht nachvollziehen. leider.

      Löschen
    2. Weil das Vergangene als zeit empfunden und erinnert wird, als man noch glücklich war, unbeschwert.
      Die Sehnsucht nach dieser Unbeschwertheit vergeht nie für den, der sie erlebt hat.

      Löschen
    3. Unsere Sehnsüchte sind unsere Möglichkeiten

      Löschen
    4. Wenn meine Sehnsüchte irgendetwas NICHT sind, dann meine Möglichkeiten.

      Löschen
    5. 1:0 für Rain, DIESE Sehnsüchte kenn ich auch...

      Löschen
    6. Ein runder Abschluss für diesen Post. :-)

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Willkommen im Zauberreich. Da dieser Blog ziemlich viel persönlichen Krimskrams enthält, lassen Sie uns einander doch duzen:

Schreib mir gerne einen Kommentar, bringe mich zum nachdenken, schmunzeln oder lachen. Aber bitte vergiss nicht, dass dieser Blog ein Spiegel meines Innen- und Gedankenleben ist. Ich würde mich demnach freuen, wenn du deine Worte sorgfältig wählst und behutsam mit den Dingen umgehst, die ich hier niederschreibe. Außerdem möchte ich dich darum bitten, mir deinen Namen oder wenigstens ein Kürzel unter dem Kommentar zu hinterlassen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe. Dankeschön!

Bitte beachte zudem, dass die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://zauberreich.blogspot.de/p/datenschutz.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Vom Kaffee und vom Leben

Vom Unglücklichsein

Vom Schmerzgedächtnis