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Es werden Posts vom Januar, 2017 angezeigt.

Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom Wochenrückblick

„Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele.“ (Pablo Picasso) Montag Aller zwei bis drei Wochen habe ich für eine Woche das Notfall-Handy und bin 24 Stunden am Tag für Mitarbeiter und Produktion erreichbar. Das ist unheimlich anstrengend und führt dazu, dass jeder Montag entweder ein guter oder ein schlechter Montag ist: Diese Woche ist es ein guter Montag, denn ich gebe das Notfall-Handy wieder ab. Allerdings reißt es mich vorher um 4:30 Uhr mitten aus dem Tiefschlaf. Ein Mitarbeiter erklärt mir panisch, dass er und seine drei Kollegen mit dem Auto liegen geblieben sind und irgendwo im Wald stehen. Also falle ich innerhalb von ungefähr vier Minuten von meinem Bett direkt ins Auto. Als ich mitten im Wald die Warnblinkanlage eines Autos leuchten sehe, weiß ich, dass ich richtig bin. Aber die Situation ist irgendwie gruselig. Auch wenn ich meine Mitarbeiter alle kenne, frage ich mich doch, ob ich vielleicht an ein Pfefferspray hätte denken sollen. Mein Grusel erwe

Vom Verzeihen

Als wir 16 Jahre alt waren, habe ich versucht, dich zu küssen. Du lagst rücklings auf meinem Bett und hattest die Arme unter dem Kopf verschränkt. Ich schob mich auf dich und betrachtete dein Gesicht. Du lächeltest mit geschlossenen Augen. Und ich habe ich bei dir Zuhause gefühlt. Mit dir war ich liebend und geliebt. Ich war vollständig. Ganz langsam bin ich dir näher gekommen, bis meine Nasenspitze deine Nasenspitze berührte. Sanft strich ich mit meinen Lippen über die deinen. Du hast dich nicht bewegt in diesem Moment. Und ich konnte nicht verstehen, wie du so ruhig bleiben konntest. Je näher ich dir kam, desto dünner schien mir die Luft zu werden und umso lauter schlug mein Herz. Später mussten wir lachen. „Ich wollte dich vorhin küssen.“, sagte ich. Du schautest ganz überrascht und sehnsüchtig. „Ich habe mir so sehr gewünscht, dass du mich küsst.“, erwidertest du lächelnd, „Aber ich hatte Angst, dass du damit aufhörst, mich zu berühren, wenn ich mich bewege.“ Da

Von ihrem Geheimnis

„ Ich liebe dich. Ich liebe dich. Diese Botschaft schicke ich durch meine Finger in seine, den Arm rauf bis in sein Herz. Hörst du mich? Ich liebe dich. Und es tut mir leid, dass ich dich verlasse.“ (Jenny Downham: Bevor ich sterbe) "Wir haben einander kennengelernt, als wir 17 Jahre alt waren. Noch heute schreibt er mir Briefe, die mich lächeln lassen, zum Beispiel, wenn er am Wochenende zum Bäcker geht, um frische Brötchen zu holen, während ich noch schlafe. Jeden kleinen Zettel unterschreibt er mit ´In tiefer Liebe. Dein Bobbele´ . Auch heute noch, nach über 50 Jahren." "Was ist das Geheimnis eurer Liebe?" "Vertrauen. Das wertvollste, was dir je ein Mensch schenken wird, ist sein Vertrauen. Geh behutsam damit um. Wenn du es auf die Probe stellst, wirst du es verlieren. Es mag möglich sein, es wieder zu gewinnen. Aber kompromissloses, unzweifelhaftes Vertrauen wird dir nur ein einziges Mal geschenkt." Bobbele schiebt seine Hand au

Von der Wortlosigkeit

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„ What about the world today? What about the place that we call home? We've never been so many and we've never been so alone. Keep watching from your picket fence, you keep talking but it makes no sense. You say we're not responsible, but we are – we are.“ (Ana Johnsson: We are) Und manchmal gibt es Tage, die machen mich so müde. Da will ich einen Mitarbeiter telefonisch über seine Schichtzeiten informieren und erfahre in einem Nebensatz, dass er seit einem halben Jahr obdachlos ist. Das ist quasi unvorstellbar: Denn er kommt immer pünktlich, gepflegt und ordentlich zur Arbeit, ist niemals krank. Als ich ihn frage, wo er schläft, antwortet er ausweichend. Mal hier, mal da. Geld ist knapp. Die Wohnung hat er wegen Schulden verloren. Die Freundin hat sich getrennt. Draußen herrschen Minusgrade. Und da ist er dieser Moment, in dem ich mich frage: Was mache ich falsch? Warum hat er nicht mit mir geredet? Ich pflege eine sehr offene Kommunikation. Ge

Von normalen Tagen

„ Stagnation macht meinen Geist rebellisch! Geben Sie mir Probleme, geben Sie mir Arbeit!“ (Film: Sherlock Holmes) E-Mail-Postfach checken: 67 neue E-Mails. Alle überfliegen. 55 E-Mails löschen. 5 E-Mails ausdrucken. 4 E-Mails stillschweigend weiterleiten. 3 E-Mails bearbeiten. Die 5 neuen Mails, die gerade eintrudeln, ignorieren. Teambesprechung: Tages- und Aufgabenplanung. Den täglichen Sparwitz abholen. (Dieses Mal: „Was sitzt auf einem Baum und schreit ´Aha´? Ein Uhu mit Sprachfehler.“) Durchtelefonieren und Terminieren von 25 Bewerbern Meckern mit dem Betreuer vom Arbeitsamt. Er hat mir auf meine vier ausgeschriebenen Stellen einen Bewerber aufgebucht. Das ist mal nicht viel. Schaltung von drei neuen Stellenanzeigen 7 Bewerbungsgespräche Bestes Negativbeispiel aus allen Gesprächen: „Für 2500 Euro brutto gehe ich nicht arbeiten. Meine absolute Schmerzgrenze liegt bei 2600 Euro netto. Außerdem fahre ich mit der Bahn 30 Minuten zu Ihnen. Der Arbeitsplatz ist m

Von Sonnen- und Bernsteinchen

Es ist meine Lieblingstageszeit, wenn die beiden Katzenkinder sich auf dem Fensterbrett zusammenrollen und so tief schlafen, dass sie gar nicht mehr auf Geräusche reagieren. Nur ab und zu zucken die Pfötchen, wenn sie von Mäusen und Motten träumen. Ich freue mich dann immer über dieses Urvertrauen, das sie mir entgegenbringen. Wenn ich jetzt hinüberfasse und Bernsteinchen, die zusammengerollt auf dem Rücken schläft, mit den Fingerspitzen über den Bauch streiche, gurrt sie leise, beginnt sich zu räkeln und schmiegt ihr Köpfchen an meine Hand. Sonnensteinchen öffnet träge ein Auge. Während ich ihre Schwester streichle, starrt sie mich an. Es ist keine Kunst, ihr Gedanken zu lesen, denn sie guckt ganz eifersüchtig. Sie findet es definitiv nicht gut, dass sie nicht selbst gestreichelt wird. Ich schmunzle in mich hinein, lehne mich etwas vor und lege meine Hand auf ihren Rücken. Unter der sanften Berührung schließt sie sofort die Augen und beginnt leise zu schnurren. Alles

Von der Lustifikation

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"Ob Plutimikation oder Division - an so einem Tag soll man sich überhaupt nicht mit 'ions' beschäftigen", sagte Pippi. "Oder es müsste 'Lustifikation' sein." (Astrid Lindgren: Pippi Langstrumpf) Sing schräg unter der Dusche, male Herzen mit Lippenstift an den Spiegel und hüpf-tanze leidenschaftlich durch die Wohnung. Zieh die rot-weiß gestreifte Leggins an, in der du dich wie Pippi Langstrumpf fühlst und setz deinen Hut auf. Nimm das Koffergrammophon mit nach draußen, schlage ein Rad im Innenhof, laufe barfuß durch den Schnee und schneide dabei Grimassen. Bestelle fünf verschiedene Essen beim Lieferservice, weil du alle gerne magst und dich, typisch Frau, nicht entscheiden kannst. Verschönere den Tannenbaum deines Nachbarn mit Plastik-Ostereiern. Erzähle Günther (dem Gartenzwerg) mal wieder eine Geschichte und stelle ihn ans Fenster, damit er in die Welt hinaussehen kann. Hast du mal probiert, deinen Lieblingskatzen Partyhüte aufz

Vom Grusel und der Gegenwehr

„ Manchmal ist es nur ein kleiner Schritt zwischen dem Wissen, was man zu tun hat, und dem Handeln, das darauf folgt. Und manchmal kann sich dazwischen eine unendliche Ebene ausbreiten.“ (David Levithan: Noahs Kuss) Ich war nie gut darin, mich zu wehren. Eigentlich war ich immer besser im einstecken oder darin, die zweite Wange hinzuhalten. Das mag zum einen daran liegen, dass ich leider nicht der mutigste Mensch auf dieser Welt bin. Zum anderen bin ich über alle Maßen friedfertig. Aber ich habe mich in der letzten Zeit verändert. Ich werde mir selbst bewusster und weiß um Schwächen und Stärken. In den meisten Momenten ist mir bewusst, dass ich auch mit Fehlern grundsätzlich (einigermaßen) liebenswert bin. Zwar gibt es immer wieder auch schlechte Momente, allerdings sind diese wesentlich seltener vertreten als bis vor ein paar Monaten und Jahren. Es ist trotzdem ein bisschen peinlich zuzugeben, dass ich erst 30 Jahre alt werden musste, bis ich mich getraut habe, mich

Von der einzigen Rakete

„ Es muss von Herzen kommen , was auf Herzen wirken soll.“ (Johann Wolfgang von Goethe) Als ich zum Empfangstresen komme, steht er da, einer meiner geliebten Mitarbeiter. „Na, mein Engel?“, schäkert er mit mir. Ich lächle. Aufrichtig. „Na, mein Sonnenblümchen?“, antworte ich ihm und freue mich, ihn zu sehen. Weil es der Freitag vorm Jahreswechsel ist, ist es ruhig im Büro und ich habe ein bisschen mehr Zeit als sonst. Also frage ich ihn, was es Neues gibt und wie es ihm geht. Er kommt ins Reden und ich spüre, dass er unser Gespräch genießt, dass es ihm gut tut, dass ich ihm Interesse entgegenbringe und vor allem zuhöre. Weil er seit Jahren seinen pflegebedürftigen Vater versorgt, der sich um den Verstand getrunken hat, verbringt er viel Zeit Zuhause. Er sieht immer nur die gleichen Menschen, erzählt er mir: Seinen Vater und die Krankenschwester, die sich um seinen Vater kümmert, während er arbeiten ist. Er sagt es nicht, aber ich weiß, dass das für ihn nicht so leich