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Es werden Posts vom Januar, 2018 angezeigt.

Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom Mimimi

Ich träume davon, vor einem Berg von 99 Schuhkartons zu stehen. Nur sind in den Schuhkartons keine Schuhe, sondern Leichenteile. Deshalb wache ich ziemlich verstört um 1 Uhr Nachts auf und kann nicht mehr einschlafen. Ich habe Magenschmerzen. Also drehe und wende ich mich im Bett hin und her. Als der Wecker endlich klingelt, bin ich fast erleichtert. Mit Selbstmitleid bei anderen Menschen kann ich in der Regel umgehen. Zumindest dann, wenn derjenige bereit ist, seinen Hintern irgendwann, nachdem er genug Seelenhygiene in Form von Selbstmitleid betrieben hat, auch mal an die Wand zu kriegen und bereit ist, die Dinge, die ihn leiden lassen, anzugehen, um sie zu ändern. Selbstmitleid bei mir dulde ich in der Regel jedoch gar nicht. Dafür bin ich zu pragmatisch. Und mich nervt Selbstmitleid-Mimimi-Gedöns ziemlich schnell. Außerdem schäme ich mich dafür. Ich mag mich nicht, wenn ich schwach bin, wenn ich Fehler mache, wenn ich Dinge nicht auf die Reihe bekomme, die ich auf die Reihe krieg

Von Tagebuchsachen

Alles in mir ist still. Ich habe nicht mal Lust zu schreiben. Stattdessen werden die kleinsten Aufgaben gerade zu den größten Herausforderungen und wirken auf mich wie unbezwingbare Berge. Irgendein Schalter hat sich in mir umgelegt. Ich habe mich zurückgezogen, verstecke mich in mir selbst, schotte mich ab. Still, ein wenig verletzt, traurig, zweifelnd. Der Januar war nie ein einfacher Monat. Dieses Jahr aber hat er mich zum ersten Mal nicht massiv beschäftigt. Nachdem ich mich letztes Jahr hingesetzt und über mehrere Stunden einen Brief an Ephraim geschrieben habe, in dem ich seinen Selbstmordversuch noch einmal rekapituliert und für mich verabreitete habe, geht es mir besser. Zu Beginn des Briefes hatte ich ernsthaft vor, ihm diesen Brief zukommen zu lassen. Aber nachdem ich die letzten Zeilen geschrieben hatte, fiel mir auf, wie ungerecht und egoistisch es wäre, ihm meine Gefühle nach so langer Zeit zuzumuten, damit in seinen Alltag einzugreifen und ihn in gewisser Weise aus sein

Vom 48 Herausforderungen

Auf Arbeit versuchen wir alle Aufgaben, die regelmäßig erledigt werden, in einer Liste zusammenzufassen. Im Anschluss werden die Zuständigkeiten verteilt. Hinterher zähle ich durch - rein interessehalber natürlich. Ich will wissen, ob ich empfindlich reagiere, wenn ich mich selbst als überbelastet sehe. Denn manchmal bin ich mir unsicher, ob ich nicht dramatisiere, ob nicht etwas mit mir oder meinem Empfinden falsch ist. Beim Durchzählen komme ich auf exakt siebzig Aufgaben, die unter vier Kollegen (inkl. mir) verteilt worden sind. Davon steht neben 48 Aufgaben mein Name. Ich muss ein bisschen kichern. Aber hauptsächlich bin ich müde. Anstatt Aufgaben abzugeben, sind nur wieder welche dazu gekommen. Da das erfahrungsgemäß immer so ist, versuche ich, diese Art von Gesprächen zu meiden. Sie führen zu nichts. Stattdessen hätte ich einfach wissen müssen, das gestern ein Tag wird, der für das Klo ist. Spätestens als ich bereits morgens über selbigem hing - Hitzewallungen, Übelkeit, Krei

Von der Leichtigkeit

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„Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.“ (Ernst Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie) Es ist eine laue Nacht, irgendwann im tiefsten Sommer, kurz nach dem Abitur. Wir verbringen die Tage am See, werfen uns gegenseitig, bekleidet oder unbekleidet, hinein, schwimmen, führen Wasserschlachten und kühlen die Getränke im kalten Nass. Abends sitzen wir am Lagerfeuer, zünden Kerzen oder Fackeln an und lassen uns durch die Nacht treiben. Irgendjemand hat immer eine Gitarre dabei, obgleich sie manchmal eher als Frauenmagnet und Dekoration zu dienen scheint. Meistens trinken wir Wein und manchmal auch Whiskey oder Bier. Oder alles durcheinander. All das macht uns so schön träge im Kopf, ganz ruhig und manchmal auch lustig. Wir sind glücklich, weil wir uns so frei fühlen in diesen Momenten. Das ist es, was zählt. Ganz in der Gegenwart befinden wir uns, weil alles, was noch kommt, viel zu unbestimmt und beunruhigend ist, um sich dem jetzt schon zu

Von Dingen, die man getan haben sollte - III

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 Von Dingen, die man getan haben sollte - Teil 1 - Teil 2   ( Quelle der Liste ) Nachts im Mondschein baden. ✔   Früher bin ich manchmal ins Freibad eingebrochen. Nachts. Insofern war ich auch schon im Mondschein baden. Nüchtern und betrunken, bekleidet und unbekleidet. Aber viel lieber mag ich es, spontan in Springbrunnen oder Seen zu hüpfen. Das Mondlicht auf dem Wasser glitzern zu sehen. Sich treiben zu lassen und die Stille der Nacht zu genießen. Und kleine Küsse zu tauschen. Zu Küssen ist am schönsten. Zwischen Korallenriffen schnorcheln. ✔ Zum Schnorcheln habe ich ein gespaltenes Verhältnis: Eigentlich habe ich keine Höhenangst, aber beim Schnorcheln - dort, wo es gar keinen Sinn ergibt - befällt mich jedes Mal eine innere Unruhe, die aus dem Gefühl heraus entsteht, ich könnte fallen. Dabei ist ein Fall unmöglich. Schon klar. Zu meinen beeindruckendsten Schnorchelerlebnissen gehört Kuba. Aber auch im Zypern- und im Kretaurlaub hatte ich den Schnorchel mit. Ich

Vom Nein-sagen

"Ich möchte, dass du der Kollegin bei der Pflege der Personalakten hilfst.", sagt der Chef. Ich lehne mich an die Tür, verschränke die Arme vor der Brust und atme tief ein, während ich nach geeigneten Worten suche. Und dann sage ich: "Nein." Im Büro herrscht frostige Stille. Dann erkläre ich laut, was ich alles tue. Das meine Tage eigentlich schon doppelt so viele Stunden haben müsstem, um all das, was man mir übergibt, in der dafür vorgesehenen Zeit zu schaffen. Ich verdeutliche, dass ich bereits regelmäßig mehrfach in der Woche lange vor dem offiziellem Arbeitsbeginn an meinem Schreibtisch sitze, um meine Aufgaben überhaupt zu schaffen. "Ich möchte, dass du der Kollegin bei der Pflege der Personalakten hilfst.", wiederholt der Chef. "Nein.", sage ich wieder. Dabei bohre ich den Fingernagel meines Zeigefingers fest in meine Daumenkuppe, wild entschlossen, mich hier nicht mehr zum Volldeppen machen zu lassen. "Ich helfe meinen Kolle

Von Dingen, die man getan haben sollte - II

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 Von Dingen, die man getan haben sollte - Teil 1 ( Quelle der Liste ) Ein Selbstportrait malen. ✔ Jawohl. Ich habe schon einmal ein Selbstportrait gemalt. Irgendwann im Kunstunterricht. Vermutlich liegt es noch irgendwo in meiner alten Schule vergraben und gilbt vor sich hin. Oder es ist einem der zahlreichen Lagerfeuer zum Opfer gefallen. Wer weiß... Aber aus aktuellem Anlass habe ich heute noch einmal eines gemalt: Das sieht zwar nicht aus wie ich, zeigt aber ganz gut, wie man sich fühlt, wenn man morgens, auf dem Weg zum Büro, von einem Radfahrer, der einem die Vorfahrt genommen hat, angespuckt wird, sich danach vom Glatteis flachlegen lässt, zehn Sekunden später beinahe von einem wildgewordenem älterem Herrn im Rollator überfahren wird und anschließend im Licht des Büros feststellt, dass man gerade von einem Vogel angekackt wurde. Ungefähr so ging der Tag auch weiter: Ich bin fremdgesteuert von Hormonen und möchte am liebsten sinnlos rumzicken oder noch viel sinnloser

Von Dingen, die man getan haben sollte - I

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Ich bin heute im Internet über eine Liste mit Dingen gestolpert, die man in seinem Leben getan haben sollte. Weil ich momentan ohnehin nicht kreativ bin und mich allmählich das Gefühl überfällt, in den vergangenen sechs Jahren bereits mein ganzes Leben aufgeschrieben zu haben, ist es vielleicht ganz gut, mal ein wenig Bilanz zu ziehen - und herauszufinden, was ich in diesem Leben unbedingt noch tun "soll". Und hier die ersten zehn Punkte der Liste. (Die Liste ist von hier: http://www.todo-liste.de/99dinge/leben, 14.01.2018) Sich den Titel für die eigene Biografie überlegen. ✔ Das war leicht: "...von all den bunten Farben...". Das gefällt mir gut: Nach vorne und nach hinten offen, vom tiefsten schwarz bis zum reinsten weiß, aber am liebten kunterbunt. So wie das Leben eben ist: vielseitig. Ein Soundtrack  für mein Leben zu finden, würde mir schwerer fallen. Vielleicht dieser hier. Den Lieblingsfilm mitsprechen können. ✔ Oh ja. Das kann ich. Aber

Vom Zurückbleiben

Ich habe Ephraim sehr geliebt. Um genau zu sein, gibt es niemanden in meinem Leben, den ich jemals mehr geliebt habe. Es war eine unschuldige Liebe. Mit Herzklopfen, Zittern, grenzdebilem Grinsen, Wortfindungsschwierigkeiten, Schmetterlingen im Bauch, unbändiger Lust auf Sex, jeder Menge Gelächter und der Sehnsucht danach, sich regelrecht in dem anderen zu verkriechen. Wir waren ein Fass ohne Boden. Und haben uns beide in den jeweils anderen hineingestürzt. Leidenschaftlich und gedankenlos. Bis der Abend, an dem er versucht hat, sich das Leben zu nehmen, alles veränderte. Am allermeisten veränderte er uns beide. Nachdem man uns unter Zwang räumlich von einander trennte und keinerlei Kontakt mehr zuließ, zog ich mich völlig zurück. Habe mit Drogen experimentiert und mich fast um die Ecke gebracht. Essen, schlafen, rausgehen. Alles war mir egal. Weil nichts mehr Sinn machte. Plötzlich stand ich alleine da. Mit so viel mehr Gefühlen, als ein einzelner Mensch in der Lage ist, zu trag

Vom Nachthemd

Heute Nacht habe ich einen dieser Träume geträumt, die es eigentlich gar nicht gibt und die manchmal, milde lächelnd, von Leuten erzählt werden, die häufig ganz schön alt sind und die es, so glaube ich zumindest, meistens auch gar nicht wirklich gibt. Wahrscheinlich gehören die zur Bielefeldverschwörung oder zu Michael Endes „grauen Männern“ aus Momo. Jedenfalls: Nur mit einem Nachthemd bekleidet – ein gelbes Stück Stoff, mit einem grauen Herz auf der Brust, bis kurz unter meinen Po reichend – besuchte ich meine alte Schule: Willkommen in Absurdistan. Während meine alte Ethiklehrerin mit mir kuscheln möchte, gesellen sich immer mehr Lehrer zu uns und sind so anschmiegsam, dass ich irgendwann das Gefühl habe, unter einem Haufen von Körpern begraben zu werden. Gerade, als mir zwischen all den Menschen beginnt die Luft auszugehen, und ich überlege, mich mit Gewalt aus dieser Menge herauszukäpfen, will mich Harald retten. Gott sei Dank. Er entert den Schulflur mit seinem Motorrad u

Von ihrer Reise

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"Take this sinking boat and point it home. We've still got time. Raise your hopeful voice, you have a choice. You'll make it now. Falling slowly, sing your melody, I'll sing along..." (Glen Hansard und Markéta Irglová: Falling slowly) Es gibt eine Klientin, die ich seit über zwei Jahren ehrenamtlich betreue. Gerade anfangs habe ich mich oft gefragt, ob ich die richtige Person bin, um mich ihrer anzunehmen. Immer mal wieder habe ich versucht, sie an einen Betreuer abzugeben, der lebenserfahrener ist, der nachsichtiger und sanfter mit ihr sein kann, als ich es bin. Aber es ist mir nicht gelungen, jemanden für sie zu finden, der auch nur im Ansätz zu ihr hätte passen können. Also habe ich selbst versucht, zu helfen. Zuzuhören. Möglichst einfühlsam zu sein. Ich habe ihr diverse Hilfsangebote unterbreitet, versucht, sie mit den begrenzten Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, zu stabilisieren. Doch es wurde schnell klar, dass sie gar keine Hilfe, keinen Inpu

Vom Abend

( Vom Morgen ) ( Vom Mittag ) Am Abend entführe ich dich in die Stadt. Das Bier, das wir in dem kleinen Lokal an der Ecke getrunken haben, macht uns träge und so lassen wir uns angenehm angesäuselt durch die Innenstadt treiben, bis wir in irgendeinem angeschrammelten Club landen. Während ich mich an die Bar lehne, um den Kellner heranzuwinken, schiebst du dich hinter mich. Die Nähe zu dir ist zu verlockend, also reibe ich kaum merklich meinen Hintern an dir. Ich spüre die Lust durch mich hindurchrieseln und du registrierst das sehr wohl. Denn du schiebst mit deiner Hand meine Haare beiseite, streichst mit der Nasenspitze behutsam durch meine Halsbeuge und zauberst mir damit, von der Kopfhaut bis in das äußerste Ende der Zehenspitze hinein, eine Gänsehaut. Dann legen sich deine Hände auf meinen Hintern. Kräftig greifen sie zu. "Provozierst du mich, Muschelmädchen?", fragst du lächelnd. Ich zucke schmunzelnd mit den Schultern und bestelle uns zwei Bier. Als der Kellner