Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von 1992

Kurz bevor mein Opa gestorben ist, hat er mir zwei selbstgebrannte DVDs geschenkt. Sein Tod kam so unvermittelt, dass ich mich danach nicht getraut habe, mir die Videos anzusehen. Heute schon.

Es ist der Sommer im Jahr 1992. Meine Eltern haben es satt, Häuser zu besetzen und Steine zu schmeißen. Stattdessen beschließen sie kurz nach dem Studium sesshaft zu werden und kaufen ein riesiges Grundstück in einem der damaligen Randbezirke Berlins. Für 25.000 halb gesparte, halb geliehene Mark.
Auf dem Grundstück steht ein altes Haus. Mit sieben Jahren finde ich ein unheimliches Vergnügen daran, mit einer Eisenstange die nur noch spärlich vorhandenen Putzreste an der Hausfassade abzuschlagen und dem Putz beim hinabrieseln zuzuhören. Ich finde das witzig, meine Eltern nicht. Aber was soll´s: Das Haus ist, mit oder ohne Putz, kaum bewohnbar. Es verfügt über zwei Öfen. Bei einer Außentemperatur von -6 Grad Celsius bringt man es, unter ständiger Befeuerung, auf +4 Grad Raumtemperatur. Zwei Zimmer und das Bad sind beheizbar. Der Rest des Hauses ist annähernd unbewohnbar. Hier und da fehlt ein Fenster, die Wände sind ungedämmt, die Decke besteht aus rohen, unbehandelten Holzplanken. Überall, an den Türen, den Fensterrahmen, platzt Farbe ab. Ich mag es nicht, nachts auf Toilette zu gehen. Zum einen weil ich Angst habe, auf dem Klositz festzufrieren, während mein Atem kleine Dunstkringel in die Luft zeichnet. Zum anderen bin ich mir sicher, dass es in unseren vier Wänden, wenigstens aber auf dem Dachboden, spukt. Als wir das Haus einige Jahre später abreißen, finde ich mich in dieser Annahme bestätigt. Denn versteckt im Mauerwerk findet sich die eine oder andere Waffe eines längst vergangenen Krieges. Und obwohl ich ein düsteres Geheimnis, eine dunkle Geschichte von Liebe und Tod erahne, verbringe ich hier eine Kindheit, die glücklicher nicht sein könnte. Zwischen einer Schlafzimmerwand, die mit hunderten von Bierdeckeln tapeziert ist und dem riesigen Bücherregal, das mich die Liebe zum Lesen lehrt. Wir sind arm. Aber ich habe Éltern, einen Opa und eine Oma die mich lieben, einen Sandkasten, eintausend phantastische Phantasiefreunde und ein leuchtendes Lego-Gespenst, das ich meinem besten Freund, den ich in 25 Jahren ganz bestimmt heiraten werde, gestohlen habe. Mir fällt nichts ein, was ich mir wünschen würde. Weil ich glücklich bin.

(An dieser Stelle waren eigentlich zwei Fotos zu finden. Aber beide wollte ich nicht dauerhaft stehenlassen.)

Kommentare

  1. Anscheinend verschwinden meine Kommentare, wenn ich sie über das Google-Konto schreibe ... :-(
    Also nochmals:

    Du warst (bist?) ja extrem niedlich! Und was ist das denn für ein süßer Hund?
    Es ist toll, wenn man eine schöne Kindheit hatte und in den Erinnerungen daran zehren kann. (Da kann ich leider nicht mitreden.)
    Die "Entbehrungen" werden einem erst später bewusst.

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    1. Ups. Doppelt? Darfst Du gerne einmal rausschmeissen :-)

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    2. Ich hab dich gerade im Spamordner ausgegraben, ganze zweimal. Was hast du denn da gemacht?! Jetzt stehst du da oben doppelt - das geht auf mein Konto.
      Kinder sind immer niedlich, oder?
      Der freche, kleine Hund war ein Familienmitglied. Er sah von hinten genauso aus wie von vorne. Und er konnte rückwärts gehen, wenn er Mist gebaut hatte. Ein super FReund. Einer meiner besten...

      Entbehrungen sind unschön. Das tut mir leid.
      Aber vielleicht bereitest du jemandem eine schöne Kindheit und stellst sicher, was du selbst entbehrt hast?

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