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Es werden Posts vom November, 2017 angezeigt.

Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von Sommersprossen

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"Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf — Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille — und hört im Herzen auf zu sein." (Rainer Maria Rilke: Der Panther)   Wir sitzen in der Bibliothek. Der Tag leuchtet nur kraftlos durch die trüben Fenster. Das restliche Licht, welches sich in den Raum verirrt, verliert sich in den Bücherregalen. Er sitzt in seinem Ohrensessel. Vor ihm ein kleiner Beistelltisch. Eine Kerze will das Tageslicht ergänzen. Zwei Tassen  wärmen uns. „Dass ich sie liebte, wusste ich, als ich sie das erste Mal sah. Das war auf einem großen Fest. 1961. Sie war nicht einfach das schönste Mädchen des Abends. Sie war so viel mehr. Unbeschwert. Temperamentvoll. Bunt. Ein Wirbelwind. Man sah es an der Art, wie sie tanzte. So voller Kraft. Es war, als würde sie von purer Lebensfreude bestimmt. Ihre roten, lockigen Haare hatten sich aus dem Knoten, den sie im Nacken trug, gelöst und standen

Von Tagebuchsachen

"Nicht nur in der Zeit sind wir ausgebreitet. Auch im Raum erstrecken wir uns weit über das hinaus, was sichtbar ist. Wir lassen etwas von uns zurück, wenn wir einen Ort verlassen, wir bleiben dort, obgleich wir wegfahren." (Pascal Mercier: Nachtzug nach Lissabon) Früher habe ich mich oft als "Verzögerungsmensch" bezeichnet, also als jemanden, der auf ein Übermaß an Schmerz erst einmal reagiert, indem er gar nichts empfindet und jeder Empfindung zunächst vollkommene Taubheit entgegensetzt. Bis die ganzen Gefühle nach und nach anfangen, in mein Bewusstsein hineinzusickern. Dosiert. Wenn ich auf die letzten Monate zurückblicke, kommt es mir allerdings eher so vor, als hätte ich an einem bestimmten Punkt meine Gefühle rigoros abgeschaltet. Irgendwo zwischen hier und da habe ich beschlossen, nichts mehr fühlen zu wollen. Anfangs habe ich noch auf das Einsetzen des Schmerzes gewartet. Mittlerweile habe ich das Warten aufgegeben. Und lebe stattdessen. Was mir irge

Vom Wunsch nach Kompensation

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Im letzten Jahr hatte ich die Polizei ziemlich oft im Büro. Dieses Jahr ist es andersherum und ich selbst bin es, die fast schon regelmäßig auf der Polizeiwache sitzt. Oder bei der Kripo. Und allmählich spüre ich, dass das anfängt, mir an die Substanz zu gehen. Die Themen, die besprochen werden, sind bunt: Menschenhandel, Freiheitsberaubung, räuberische Erpressung, Körperverletzung, Stalking, Beleidigung, Diebstahl, Hehlerei ... Ich habe zu großen Teilen Jura studiert, unter anderem Europäisches Recht. Darauf aufbauend habe ich bei meinem Zwischenjob in einer Anwaltskanzlei ziemlich viel Wissen anhäufen können. Vor allem in den Bereichen Strafrecht, Arbeitsrecht, Familien- und Sozialrecht. Dieses Jahr aber schult mich in rechtlicher Hinsicht nochmal ordentlich nach. Und außerdem lerne ich, dass es Frauen gibt, die ihre Knutschpartner verklagen, weil sie glauben, Küssen würde Schwangerschaften verursachen. Ein Hoch auf unsere geduldigen Polizisten. Die klären auch diese Fälle auf. Ich

Vom Loslassen

Irgendwo auf unserem Weg habe ich bedauerlicher Weise mein Vertrauen in dich verloren. Vermutlich zwischen einem der gebrochenen Versprechen und einer deiner Versicherungen, jetzt würde sich alles ändern. "Ist das dein Ernst?!", fauche ich, versteckt hinter meinem Computerbildschirm, als ich auf Arbeit mal kurz meine Mails checke. "Wenn du das so willst, kannst du das haben.", füge ich hinzu, "Kannst du gerne!" Nun schon stiller. Meine Kollegin sieht mich mit großen Augen an. "Dich will ich aber auch nicht zum Feind haben, Muschelmädchen.", sagt sie. Mein Ausbruch irritiert sie. Man muss mich schon wirklich lang und intensiv reizen, damit ich aus der Haut fahre. Du schreibst, dass du dich von mir betrogen und verraten fühlst. Dass du beginnst, mich zu hassen. Und deine Wortwahl ist ziemlich grenzwertig. Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir auf, dass sich unsere damalige Beziehung eigentlich kaum von der heutigen unterscheidet: Früher konnte i

Von der körperlichen Zerrissenheit

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(Sonntagsgedanken. Die gab es so ähnlich schon einmal.  Geistern mir aber heute wieder im Kopf herum.) Schon als ich ein kleines Kind war, war ich unzufrieden mit meinem Körper. Wann immer ich mich auf einem Foto sah oder mich im Spiegel betrachtete, fühlte ich mich dick und unförmig. Egal, wie viel ich letztendlich wirklich wog, ob 49 Kilogramm oder 86 Kilogramm bei einer Körpergröße von 1.75 Meter. Meinen Bauch empfinde ich als zu dick, meine Brüste als zu groß und dann gibt es da noch allerlei andere körperliche Dinge, die ich einfach nicht an mir mag, wie etwa meine Nase, die mir zu spitz ist, mein Mund, der mir schräg vorkommt und mein Hintern, der mir oft zu klein war. Viele Jahre lang habe ich mich gefragt, woran das liegt und voller Leidenschaft davon geträumt, in die Figur eines dieser Hochglanzmodels, die einen von den Seiten etlicher Werbeprospekte anlächeln, schlüpfen zu dürfen. Die Wahrheit ist: das wird nie passieren. Mit dem Körper, den ich mein eigen nenne, werde i

Vom Staunen

„Chiffrieren, nicht dechiffrieren. Die Illusion erarbeiten. Illusion schaffen, um Ereignis zu schaffen. Rätselhaft machen, was klar ist, unbegreiflich das, was allzu begreiflich ist […]. Die absolute Regel ist es, zurückzugeben, was man bekommen hat. Niemals weniger, immer mehr. Die absolute Regel des Denkens ist es, die Welt so zurückzugeben, wie wir sie bekommen haben – unbegreiflich – und wenn möglich noch etwas unbegreiflicher.“ (S. Strehle: Zur Aktualität von Jean Baudrillard: Einleitung in sein Werk.) „Ich bin ja auch ein Kind!“ sagt sie neunmalklug und grinst schelmisch, während ich mir denke: Jepp, ich wäre auch gerne (wieder) ein Kind. Dann würden mich die Leute nicht so dämlich angucken, wenn ich alleine im Sandkasten sitze und mithilfe von Förmchen riesige Rentiere oder Burgen aus Sand baue oder Gummihopse spiele oder so hoch schaukle, bis ich das Gefühl habe, den Himmel berühren zu können. Ich glaube, ich werde nie so alt, wie es einige Menschen in meinem Alter j

Vom Brennen

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"Komm mir nicht zu nahe, sonst kann's geschehen, dass wir beide lichterloh in Flammen stehen..." (ASP: Ich will brennen) Ich mag den Augenblick, in dem ich in meine Overknees schlüpfe und mit den Fingerspitzen sanft, ganz bewusst, über das harte Leder streiche, bevor ich sie zuschnüre. Ich drehe mich einmal, zweimal vor dem Spiegel und lächle mich an. Grüne Augen und ein dezenter Lidstrich, kein Makeup. Einfach: Ich. Völlig normal, völlig Frau. Dazu: Parfum. Ein Hauch.  Die Flasche Wein leert sich. Eine enge Freundin, die mich schätzt, ein Freundschaftsdienst, den ich erweisen darf, ein Mann, der ganz ungeschickt, aber unglaublich charmant versucht, mich zu verführen, ein Subtext, der viel zu durchschaubar unter all den Gesprächen abläuft. Fremde und längst bekannte Menschen. Ein netter, aber viel zu junger Hintern, eine dunkle Nacht, ein angeschrammelter Club im Herzen der Stadt, eine metallische Tür, die ins Nichts führt, ein bestechlicher Türsteher und ei